Geleugnete Verantwortung - Der "Henker von Theresienstadt" vor Gericht
Im Frühherbst 1963 ging in Graz einer der spektakulärsten Kriegsverbrecherprozesse
seit Ende des 2. Weltkrieges über die Bühne. Auf der Anklagebank
saß der 53jährige Expeditarbeiter und frühere Mesner Stefan
Rojko. Dem ehemaligen Aufseher im Gestapo-Gefängnis „Kleine Festung“
in Theresienstadt wurden 200 Morde zur Last gelegt. Nach einmonatiger Verfahrensdauer
wird der „Henker von Theresienstadt“ zu lebenslanger Haft verurteilt.
Wie die Autoren eindrucksvoll belegen, war dieser Schuldspruch eine Ausnahme.
Die Regel waren Freisprüche. Der ehemalige Adjutant des Ghetto-Kommandanten
von Wilna, verantwortlich für vielfachen Mord, blieb ebenso ungeschoren
wie der Werwolf-Führer von der Staringalpe, der nach dem Krieg den Mord
an neun Juden befohlen haben soll.
Indem Karny/Halbrainer diese Strafverfahren ebenso wie den Rojko-Prozess detailreich
darstellen, schaffen sie ein politisch-gesellschaftliches Zeitgemälde
der späten 50er und frühen 60er Jahre, das in einem beschämenden
Ausmaß die Verdrängung der Vergangenheit dokumentiert.
(gemeinsam mit Heimo Halbrainer) Edition Geschichte der Heimat, Grünbach 1996
Pressestimmen
"Die eindrucksvolle Studie basiert auf reicher Quellenkenntnis, was
die eigentliche Geschichte der 'Kleinen Festung', aber auch die Kriegsverbrecherprozesse
in Österreich generell betrifft."
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands
"Das Buch zeigt in eindrücklicher Prägnanz die politischen
und juristischen Rahmenbedingungen auf, die aus einer Stimmung der Exkulpierung
und des Vergessen-Wollens entstanden waren. In ihnen waren nicht nur skandalöse
Freisprüche, sondern auch das unverblümte Gutheißen derselben
möglich."
Zeev Peleg in: David
"Diese Publikation ist nicht nur die Biografie des Gefängnisaufsehers
Stefan Rojko, sondern auch die gelungene Darstellung der österreichischen
Justizgeschichte zu Beginn der 60er Jahre in Art einer Momentaufnahme der
österreichischen Gesellschaft im Umgang mit NS-Verbrechen. Das Buch ist
damit ein wichtiger Beitrag hinsichtlich der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit,
aber auch mit der österreichischen Nachkriegsgesellschaft."
Claudia Kuretsidis-Haider in: Mitteilungen der Alfred-Klahr-Gesellschaft
Fotos
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Stefan Rojko: Mesner, SS-Aufseher, Expeditarbeiter. 1963 wegen Mordes an nahezu 200 Personen angeklagt |
Franz Murer: Adjutant des Ghetto-Kommandanten von Wilna, Bezirksbauernkammerobmann und Vater eines Nationalratsabgeordneten. Die österreichischen Gerichte wollten keine Mittäterschaft am mehrtausendfachen Mord an den Wilnaer Juden erkennen. Nach 13 Jahren wird das Verfahren 1974 eingestellt |
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Kleine Festung von Theresienstadt, Hof im Männertrakt, heutiger Zustand |
Theresienstädter Häftlinge beim Bahnbau in Usti nad Labem (Aussig) |
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Rojkos Schreibtisch in der Kleinen Festung von Theresienstadt |
Rojkos Gattin, Cäcilia, war Aufseherin im Frauentrakt von Theresienstadt |
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Theresienstadt nach der Befreiung: Es grassierte der Flecktyphus |
"Ovales Gesicht, stumpfe Nase, breite Schultern" - Eine falsche Personenbeschreibung bewahrte Rojko 1950 vor der Auslieferung in die Tschechoslowakei und rettete ihm wohl das Leben |
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Stefan Rojko (neben ihm der ehemalige Theresienstadt-Häflting Heinrich Widmayer) wird 1963 zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt. Es war für jene Zeit ein außergewöhnliches Urteil |
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