Sie waren zwei Kinder ihrer Zeit
Die Parallelen zwischen Jochen Rindt und Rupert Hollaus
Wenn ein Park die Trasse für eine Rennstrecke abgibt, dann gilt das zumindest als außergewöhnlich. Wenn darin auch einigermaßen gestorben wird, ist das unheimlich. Der Park von Monza wird für Letzteres gehalten. Ronnie Peterson hat's dort ebenso erwischt wie Alberto Ascari. Und der Tod des Deutschen Berghe von Trips bildet überhaupt den Fall einer doppelt gemoppelten Unheimlichkeit: Hätte sich der Graf auf der Strecke nicht derstess'n, so wäre er mit dem Flugzeug abgestürzt, das ihn nach Hause bringen hätte sollen.
Und dann ist da natürlich der 5. September 1970. Im Samstagtraining, so um halb vier nachmittags, bricht beim Anbremsen der Parabolica am Lotus von Jochen Rindt rechts vorn die Bremswelle. Statt nach rechts in die Kurve einzulenken, biegt der Wagen scharf nach links ab, kracht in die Leitplanken, schleudert retour auf die Strecke, dreht sich um die eigene Achse, tuscht noch einmal gegen die Planken, prallt zurück, schlittert in einer Sandwolke zum Stillstand. Als sich der Staub legt, ist dort, wo die Frontpartie war, nichts. Nur ein Bein vom Fahrer hängt raus, der dazugehörige Schuh ist irgendwo. Jochen Rindt ist tot. Als man ihn am 11. September am Grazer Zentralfriedhof zu Grabe trägt, ahnt man, dass er schaffen wird, was von Trips 1961 um einen einzigen Punkt verpasst hatte: posthum Weltmeister zu werden.
Auf den Tag des Rindt-Begräbnisses genau 16 Jahre zuvor griff das Schicksal in ähnlicher Weise schon einmal nach einem Österreicher, um ihn zum postmortalen Champion zu erhöhen. Rupert Hollaus, ein blutjunger Kfz-Mechaniker aus dem niederösterreichischen Traisen, bestritt 1954 seine erste Motorrad-Saison für NSU. Er war der einzige Nicht-Deutsche im Werksteam des damals weltgrößten Motorradherstellers, und er fuhr in der Achtelliter-Klasse alles und jeden in Grund und Boden. Er gewann als Newcomer die Tourist Trophy auf der Insel Man, siegte in der Folge bei allen WM-Läufen und kam als bereits fest stehender Weltmeister nach Monza. Er hätte die Saison also locker fertig fahren, ja sogar alle restlichen Rennen sausen und sich am Ende trotzdem ordentlich abfeiern lassen können.
Was man heute kurzerhand der Strategie opfern würde, gehörte ehedem zum Selbstverständnis eines Rennfahrers: Seinem Namen alle Ehre machen. Als im Abschlusstraining der Italiener Carlo Ubbiali mit einem höchstwahrscheinlich aufgebohrten Motor Bestzeit fuhr, trieb es Hollaus noch einmal auf die Bahn. "Einen Weltmeister schlägt niemand", soll er gesagt haben. In der Lesmo nahm er eine zu enge Linie. Die innenseitige Fußraste hakte sich in den Asphalt, eine Bodenwelle hob Mann und Maschine aus.
Es war Hollaus' erster wirklich schwerer Sturz. Aber vor knapp fünfzig Jahren war ein Schädelbruch eine ziemlich sicher letale Angelegenheit. In der Votivkirche gab es für Hollaus, der seinen 23. Geburtstag gerade eine Woche überlebt hatte, eine Art Staatsbegräbnis. Anschließend wurde sein Sarg in einem langen Konvoi nach Traisen überführt. Später stellte man in seinem Heimatort eine Büste von ihm auf.
Wie Rindt hatte auch Hollaus zu Beginn seiner Karriere einen Mentor, der zwar nebenberuflich Staatsmeister war, aber - sagen wir halt: des Jobs wegen - erfolgsmäßig bald hinter seinem Schützling zurückblieb. Im Gegensatz zu Rindt, der zum Reisebürobesitzer Curd Barry ein sehr geschäftliches Verhältnis hatte, blieb die Beziehung zwischen Hollaus und dem Zweiradhändler Alex Mayer eine herzliche. Wie Rindt fuhr auch Hollaus wie ein G'sengter und bekam im schnellsten Team einen Fixplatz. NSU war mindestens der Lotus der Zweiradliga.
Was sie einte, trennte sie zugleich: Ein Kind ihrer Zeit gewesen zu sein. In dem armen, geschundenen, besetzten Land machte jeder junge Mann zunächst eine ordentliche Lehre. Am besten im väterlichen Betrieb. Nachher konnte man sich ja mit Nebensächlichkeiten abgeben und zum Beispiel Rennfahrass werden. Hollaus blieb der nette Kumpel von nebenan, ein Star wider Willen. Wenn er im Prater Autodrom fuhr und sich nachher ein Brathuhn bestellte, hielten das die Zeitungen für veröffentlichenswert. Keine Spompanadeln.
Anders Rindt. Zwar im Krieg geboren, musste der Gewürzmühlenerbe nie wirklich erfahren, was es heißt, Lebensmittel gegen Marken zu tauschen und Sprit nur rationiert und auf Bezugsschein zu bekommen. Seine Schulgeschichten inklusive VW-Simca-E-Type-Abenteuer sind Legion. Rindt war der Rock'n'Roll-Gegenentwurf zum geschnäuzten und gekampelten Wiederaufbauhelden Hollaus. Dass aus dem goschertfrechen Rotzpipenlausbuamgfrast noch was geworden ist, grenzt an ein Wunder. Viele Alternativen zum Rennfahren dürfte Rindt nicht gehabt haben. Von einer eigenen Tankstelle mit Servicestation hatte er ganz sicher nie geträumt. Für Hollaus wäre das alles gewesen. Wirklich alles.
Erschienen in DER STANDARD, 5.11.2000