Steak mit Mineral ohne
Der Dichter begegnet einem Rennfahrer
Der Dichter hat sein Unglück, das wunschlose, schon hinter sich. Dem Rennfahrer steht das seine als flammendes Inferno noch bevor. Die Partnerschaft von Suhrkamp und Nürburgring gedeiht 1975 eigentlich noch im Verborgenen, aber der Dichter erahnt sie mit dem ihm eigenen prophetischen Weitblick bereits. Außerdem ist er noch jung, befindet sich in seiner mehr oder weniger sportlichen Phase und hat nach dem Fußball, dem er einen Text über die Penaltyphobie eines Tormanns gewidmet hat, die Formel 1 als Objekt der literarischen Beschreibung entdeckt.
Wenn Peter Handke über das Treiben in der Formel 1 schreibt, dann ist das so, als würde Niki Lauda in aller Öffentlichkeit über die Innenwelt der Außenwelt seiner Innenwelt berichten. Eine ziemlich asketische Angelegenheit. So wie Mineral ohne. Ohne Kohlensäure nämlich. Zumindest so viel Indiskretion gestattet sich der Dichter, dem Leser das Alltagsgetränk des Fahrers zu verraten. Und dass er dazu ein Steak isst. Ansonsten gibt’s da nichts für Klatsch und Tratsch. Eben so wenig verbirgt sich, was zum Skandal getaugt hätte. Sigi Bergmann hat ihn nicht für „Sport am Montag“ ins Studio gebeten.
Auch wenn der Nürburgring nicht in Serbien liegt, war der Ort der Geschichte klug gewählt. Keine Rennstrecke eignet sich für einen deutschen Dichter österreichischer Provenienz, der sich eingebildet hat, über einen österreichischen Rennfahrer mit deutschem Trauma zu schreiben, besser als der Eifelkurs. 1973 hat es den Rennfahrer mit seiner BRM-Gurke am Bergwerk in die Böschung gepickt. Auslöser war eine angeknackste Hinterradaufhängung, das Resultat ein gebrochenes Handgelenk. Was aber nicht allzu sehr geschmerzt haben dürfte, weil der sensationelle Monte-Carlo-Auftritt schon gewesen und die Unterschrift unter den Ferrari-Vertrag nur mehr eine Formsache war. Und 1974 hat er den roten Renner quasi schon am Start zerlegt. Von der Pole aus gleich Dritter, aber die Rücküberholung von Scheckter scheiterte in der zweiten Kurve an den noch kalten Reifen. Der Nürburgring ist nix für Niki.
Dachte man bis 1975. Aber im Abschlusstraining glüht er volles Rohr, die Uhr kommt nicht weiter als bis 6:58,6. Der Dichter passt das Wort „Rekordrunde“ in den Text ein.
Das Publikum, auf dessen Beschimpfung sich der Dichter noch immer versteht, setzt sich aus zweihunderttausend „nicht einmal gerichtsbekannten Bierbäuchen“ und „Frauen mit über der Leere ihres Lebens verschlossenen Gesichtern“ zusammen. Aber dieser trostlose Haufen ist aus dem Häuschen! Noch nie war jemand unter 7 Minuten zum Start zurückgekommen!
Im Rennen wird Lauda Dritter, im übernächsten Grand Prix in Monza fixiert er vorzeitig seinen ersten Weltmeistertitel. Der Dichter befindet zum Ende des Deutschland-Wochenendes, dass gefährlicher, als Rennen zu fahren, „auf die Dauer aus dem Fenster zu schauen“ sei. Der Rennfahrer wird auf dieser Strecke ein Jahr später des Dichters Ansicht korrigieren.
Erschienen in DER STANDARD, 19.5.2000