Höhenflug mit jähem Absturz

Eine Erinnerung an den legendären Rennfahrer Bernd Rosemeyer

Bevor Michael Schumacher kam, hatten die Deutschen in der höchsten Rennsportklasse so gut wie keine Rolle gespielt. Abgesehen vielleicht von Wolfgang Graf Berghe von Trips, der 1961 in Monza tödlich verunglückt war und die posthumen Weihen eines Weltmeisters um gerade einen Punkt verpasst hatte. Ansonsten muss man aber, um erfolgreiche deutsche Rennfahrer auszumachen, zurück blicken in eine ferne Zeit, in der die Königsklasse noch nicht Formel 1 hieß, der Meistertitel in keiner weltweiten, sondern einer europäischen Rennserie vergeben wurde und die Karosserien in prä-sponsorischer Jungfräulichkeit und der Nation entsprechender Farbgebung glänzten. Die Italiener in Rot, die Briten in Grün, die Franzosen in Blau und die Deutschen in Silber.
Folgerichtig nennt man diesen sporthistorischen Abschnitt die Ära der „Silberpfeile“, die über den Umweg der schlauen Behebung einer knapp verfehlten Reglementvorgabe zum Mythos reiften. Bei der Abwage anlässlich des Eifelrennens 1934 überschritt der Mercedes W 25 geringfügig die ab jener Saison als Maximalgewicht erlaubten 750 Kilogramm. Die Schlauheit bestand nun im Gewicht reduzierenden Abschleifen des weißen und bis dahin als Kennfarbe der deutschen Rennwagen gültigen Lacks, was den Mercedes-Wagen nicht nur zur Startberechtigung am 3. Juni 1934, sondern auch zur Mutation zu eben jenen legendären „Silberpfeilen“ verhalf. Da die Konkurrenz nach Manfred von Brauchitschs Mercedes-Sieg gegen die neue Farbe, die sich aus dem blank geschliffenen Aluminium ergab, keinen Protest einlegte, blieben deutsche Rennwagen fortan silbern und sind es mit kurzen Unterbrechungen bis heute.
Die Rennszene wurde ab 1934 ziemlich klar von Mercedes beherrscht, was seine Ursache nicht zuletzt in der Politik der im Jahr zuvor an die Macht gekommenen Nationalsozialisten hatte, die den Motorrennsport als großartiges Propagandamittel erkannten und mit Staatsmitteln unterstützten. Der Sport galt nun nicht mehr als privates Vergnügen einzelner, sondern als Dienst am Volk. Klubs und Verbände wurden aufgelöst und gingen im Nationalsozialistischen Kraftfahr-Korps (NSKK) auf. Als Präsident der „Obersten Nationalen Sportbehörde für die nationale Kraftfahrt“ war Obergruppenführer Adolf Hühnlein so etwas wie Deutschlands Bernie Ecclestone, hatte aber als Chef des NSKK einen wesentlich weiteren Zuständigkeitsbereich: Zunehmend unter der Zielvorgabe eines bevorstehenden Militärschlages, wurden deutsche Kfz-Besitzer trainiert und geschult, Fahrzeuge unter schwierigsten Bedingungen erprobt, ab 1939 schließlich war das NSKK die Logistikabteilung für den motorisierten Kriegseinsatz zu Lande.
Wäre es nach Adolf Hitler gegangen, hätte Mercedes und sonst niemand Deutschland im Rennsport vertreten. Die Präferenz für die Marke mit dem Stern hatte mit persönlichen Freundschaften, strategischen, wirtschafts- und militärpolitischen Ausrichtungen sowie mit der Meinung zu tun, dass Mercedes besser als alle anderen „deutsche“ Grundeigenschaften symbolisiere. Zu einer Zeit, als Werbespots noch die Länge eines Liedes hatten, stellten die PR-Verantwortlichen aus Untertürkheim die Scheinfrage: „Kennst Du nicht die stolzen Wagen,/ruhmbekränzt in Nah und Fern,/die als Bild am Kühler tragen/Lorbeerkranz und Dreizackstern?“ Und zu schneidiger Marschmusik kam die Antwort: „Die im Kampf der Autorennen/fürchten keine Konkurrenz,/lasst uns ihren Namen nennen,/unsern Stolz: Mercedes-Benz!“ Unter der Regie des legendären Rennleiters Alfred Neubauer sorgten Rudolf Caracciola, Hermann Lang und Manfred von Brauchitsch dafür, dass die Deutschen von diesem Stolz in regelmäßigen Abständen erfüllt wurden.


Ziemlich überraschend stieg 1934 die zwei Jahre zuvor entstandene Auto-Union, deren aus vier Ringen bestehendes Marken-Logo die Fusion von Audi, Horch, Wanderer und DKW symbolisierte, mit einem von Ferdinand Porsche entworfenen Wagen in den Rennsport ein. Erst nach langen Verhandlungen entschied das Reichsverkehrsministerium, neben Mercedes eine zweite deutsche Marke im Rennsport zu platzieren und die Subventionsgelder zwischen den Firmen zu teilen.
1935 wurde das Starterfeld um einen Rennfahrer erweitert, dessen Name damals noch weitgehend unbekannt war: Bernd Rosemeyer. Zweirad-Fans wussten, dass der 26-jährige Sohn eines Werkstattbesitzers aus dem Emsländer Städtchen Lingen als Motorradrennfahrer Sieg um Sieg eingefahren hatte. Nun war er vom Sattel einer DKW in das Cockpit eines Auto-Union-Rennwagens umgestiegen. Die Karosserie dieses Boliden war nach Erkenntnissen aus dem Windkanal als fließender Verlauf von einer stumpfen Nase zu einem flossenartigen Heck geformt, was diesen Autos auch die Bezeichnung „Silberfische“ einbrachte. Außerdem zeichnete die Wagen mit dem vor der Hinterachse eingebauten, mit bis zu sechzehn Zylindern ausgestatteten Motor und der weit nach vorne versetzten Fahrerposition eine vollkommen neue Konstruktionsvariante aus, die erst etwa zwanzig Jahre später in den allgemeinen Rennwagenbau übernommen wird. Bei allen anderen Rennställen hielt man an der Konzeption des Frontmotors fest.
Die Wagen mit den vier Ringen waren nicht einfach zu fahren, doch wer sie beherrschte, war schnell. Und Bernd Rosemeyer war sehr schnell. Forsch war der Draufgänger in die Phalanx der schnellsten Fahrer eingedrungen, rasch wurde er populär. Zum Saisonabschluss 1935 gewann er in Brünn am Masaryk-Ring sein erstes Autorennen. Der Shooting Star war auf seine Umlaufbahn gebracht. Sie wird erfolgreich, glamourös und kurz sein.
Bei der Siegerehrung lernte Rosemeyer die Pilotin Elly Beinhorn kennen. In einer kleinen Sportmaschine hatte sie 1931/32 als erste Frau die Welt umflogen und ihre Erlebnisse in dem Buch „Ein Mädchen fliegt allein“ festgehalten. Sie war eine viel begehrte Referentin, hetzte von Vortrag zu Vortrag, zwischen den Terminen wurde geheiratet. Der Rennfahrer und die Pilotin waren das Bilderbuchpaar nicht nur der deutschen Sport-Gesellschaft, sondern standen in ihrer ehelichen Einheit als faszinierendes und ideologisch bestens vermarktbares Symbol für eine von technischer Fortschrittsgläubigkeit geprägte Nation. Das Ehepaar selbst jedoch stand dem NS-Regime eher reserviert gegenüber, ein umso größeres Rätsel ist es, warum Rosemeyer der SS beigetreten war. Die Mitgliedschaft im NSSK hätte völlig gereicht, seine Ehefrau war nicht einmal NSDAP-Mitglied. Als wahrscheinlich gilt, dass er die SS als jene Parteiformation erachtete, die seiner Karriere am förderlichsten war. Den Kontakt mit politischen Spitzen konnte man ohnehin nicht meiden. Natürlich war man zu Tee bei Hitler, plauderte mit Göring und stand mit dem ehemaligen Jagdflieger und nunmehrigen Generalluftfahrzeugsmeister Ernst Udet in sehr guter Beziehung.


Auf der Rennbahn zeigte Rosemeyer den Konkurrenten, dass Erfahrung mit Risiko ausgeglichen werden konnte. Als er 1936 den Großen Preis von Deutschland gewann, blieb er auf dem 22,8 Kilometer langen Nürburgring als erster Fahrer unter 10 Minuten. Der junge Mann aus Lingen fuhr von Erfolg zu Erfolg. Manchmal hatte man den Eindruck, er fahre sich um Kopf und Kragen. Unfälle, die ihm passierten, sahen furchtbar aus. Wenige Minuten später tauchte er grinsend in den Boxen auf.
Er schien unverwundbar. Die Auto-Union-Verantwortlichen nahmen es schließlich sogar hin, dass Rosemeyer im eigenen Flugzeug zu den Rennen flog. 1936 holte er den einzigen Europameistertitel für die Auto-Union und wurde dafür zum Obersturmführer befördert. Im Juli 1937 gewann er auf dem Roosevelt Field in New York den Vanderbilt-Pokal und kassierte beim bestdotierten Rennen der Welt eine Siegesprämie von 20.000 Dollar. Zum Saisonausklang in Donington feierte er seinen 10. und letzten Sieg in einem Rundstreckenrennen. Wenig später fuhr er bei einer Rekordveranstaltung als erster Mensch in einem Straßenrennwagen schneller als 400 km/h. Am 12. November 1937 schenkte Elly ihrem Mann einen Sohn, Bernd Rosemeyer strahlte über Bernd Rosemeyer junior. Das Glück währte nur noch etwas mehr als zwei Monate.
Der 28. Jänner 1938 war ein schöner Wintertag. In der Nacht hatte es einen Föhneinbruch gegeben, und in der Früh war die Autobahn Frankfurt - Darmstadt nicht nur eisfrei, sie war auch aufgetrocknet. Die Oberste Nationale Sportbehörde hatte Mercedes und Auto-Union Weltrekordversuche über die Meile und den Kilometer außerhalb der offiziellen Rekordwoche im Herbst genehmigt. Eine Automobil-Ausstellung stand bevor, Deutschland brauchte Werbung. Weltrekordfahrten waren Machtdemonstrationen deutscher Ingenieurskunst, wiewohl man hierzulande etwas verbittert darüber war, zwar den Straßenweltrekord laufend zu verbessern, nicht aber den absoluten Weltrekord in Angriff nehmen zu können. Dafür fehlte die Weitläufigkeit der amerikanischen Salzseen. (Als man es dann mit einem 3000-PS-Monster von Mercedes auf einem eigens für diesen Rekordversuch gebauten Autobahnstück zwischen Dessau und Halle doch probieren wollte, brach der 2. Weltkrieg aus.)
Die Bedingungen an jenem Jännertag schienen ideal, auch wenn der Wetterdienst vom Flughafen Frankfurt/Main warnte, dass ab dem frühen Vormittag mit starken Böen zu rechnen sei. Doch man verließ sich auf die Topographie der Rekordstrecke, die in windschützende Waldungen und Böschungen eingeschnitten war. Einzig bei der Zufahrt Langen-Mörfelden bildete eine trichterförmige Schneise eine kritische Stelle.
Die Weltrekord-Autos, getoppte Grand-Prix-Wagen mit aerodynamischer Vollverkleidung und anderer Getriebeübersetzung, wurden startklar gemacht. Die Rekordfahrt war in der Charakteristik gänzlich anders als ein Grand Prix. Verhalfen einem auf der Rennstrecke Mut, Fahrkönnen und auch Frechheit zum Sieg, so war es bei der Rekordfahrt allerhöchste Präzision. Rosemeyer verdeutlicht es: „Der Wagen fährt schnurgerade, die Steuerbewegungen am Lenkrad betragen 1 bis 2 mm.“
Am Morgen des 28. Jänner hatte Rudolf Caracciola mit 432,7 km/h für Mercedes einen neuen Weltrekord aufgestellt. Kurz vor Mittag steigt Rosemeyer ins Cockpit, um den Rekord für die Auto-Union zurück zu holen. Man rät ihm wegen des starken Seitenwindes davon ab. Auch Caracciola soll ihn gewarnt haben. Aber Rosemeyer habe zurück gelacht: „Jetzt bin ich dran, Rudi.“ Einer anderen Version nach soll Rosemeyer zu den Auto-Union-Leuten aber gesagt haben: „Ich fahre jetzt einmal runter, und wenn ich sehe, dass es nicht geht, fahren wir morgen weiter, wenn es windstill ist.“ Riskanter Rekordversuch oder überlegte Probefahrt – die Legende lässt beide Varianten zu. Bei Windgeschwindigkeiten von bis zu 18 Metern pro Sekunde startet Rosemeyer seine letzte Fahrt, vor der er wusste: „Es ist allerhöchste Konzentration erforderlich, um den Wagen stets in Fahrbahnmitte zu halten. Das rechtzeitige Abfangen von Seitenluftstößen und von Versetzungen an den Unterführungen erfordert ein Höchstmaß von dauernder Bereitschaft zu sozusagen instinktmäßiger Gegenreaktion, noch bevor sich der Seitenwind oder ein anderer Einfluss auswirken kann -“
Bei Kilometer 8,8 fährt eine Böe in die Mörfeldener Schneise, bringt den mit über 400 km/h dahin rasenden Boliden ins Schleudern, lässt ihn quer stehen und wirft ihn bei Kilometer 9,2 - 800 Meter vor dem Ziel - mit einem dreifachen Überschlag von der Betonbahn. Der Fahrer wird aus dem Wagen geschleudert, das Chassis fliegt in den Wald. Die Rettungsmannschaften finden Rosemeyer am Fuß eines Baumes. Genickbruch. Er war sofort tot.
Sondermeldungen unterbrechen das Rundfunkprogramm, die Zeitungen drucken Extrablätter. Spekulationen über die Unfallursache setzen ein. Blockierte ein kapitaler Motorschaden die Antriebsräder? War die Karosserie zu windanfällig geformt? Oder gar die dünne Aluminiumhaut auf Grund zu starker Windkräfte geplatzt? Eine Böe schien als Erklärung zu simpel. Wenige Tage später wird Rosemeyer auf dem Waldfriedhof in Berlin/Dahlem beigesetzt. Staatstrauer ist angeordnet, die Fahnen wehen auf Halbmast. Hitler kondoliert Elly Beinhorn per Telegramm: „Möge der Gedanke, dass er im Einsatz für deutsche Geltung fiel, Ihren Schmerz lindern.“
62 Jahre später präsentiert Audi, der Nachfahre der Auto-Union, eine monumentale Designstudie. Den Supersportwagen kennzeichnet eine fließende Linie von der bulligen Schnauze bis zur langgestreckten, sanft abfallenden Motorhaube mit vertikalen Lufteinlassschlitzen. Die Erinnerung an die Rennwagen aus den Dreißigerjahren wird optisch ebenso klar geweckt wie technisch mit dem Sechzehnzylinder-Motor. Und als Reminiszenz an den größten aller Auto-Union-Fahrer trägt die Studie auch dessen Namen: Rosemeyer.

Erschienen in „Wiener Zeitung“, 31.1./1.2.2003