Die Romanze des Jahrhunderts
Oliver Hardy bildete mit Stan Laurel das legendäre Film-Duo "Dick und Doof". Vor 50 Jahren starb das komödiantische Schwergewicht.
Wer Oliver Hardy liest, denkt unweigerlich an Stan Laurel und assoziiert zu beiden „Dick und Doof“. In der Tat ist es schwer vorstellbar, dass es eine präsymbiotische Ära gegeben haben könnte, in der der Gag des einen als Zündschnur für den Gag des anderen fehlte. Und dennoch: Beide waren schon um die dreißig, als sie einander zum ersten Mal trafen, und deutlich darüber, als sie ihre gemeinsame Karriere als Stan und Ollie starteten.
Anders als Stan, der als Spross der englischen Theaterfamilie Jefferson sein komödiantisches Talent unter besten Bedingungen reifen lassen konnte, bereits mit 16 Jahren sein Bühnendebüt gab und bald schon an der Seite von Charlie Chaplin durch die USA tourte, musste sich Hardy seine Auftritte auf der Bühne und vor der Kamera gegen den Willen seiner Mutter ertrotzen. Kurz nach Hardys Geburt am 18. Jänner 1892 war sein Vater gestorben. Die Mutter betrieb in Milledgeville (Atlanta) ein kleines Hotel, das gerade genug Geld abwarf, um ihre achtköpfige Kinderschar über die Runden zu bringen. Später wird Hardy sagen, dass ihm das stundenlange Herumlungern in der Hotellobby jede Menge Schauspielunterricht beschert hatte: „Schon als Kind hatte ich die Angewohnheit, Leute zu beobachten. Ich sah sie schon als Kind im Hotel meiner Mutter: Den dummen Kerl, dem nie etwas wirklich Schlimmes passierte – und der elegante, pfiffige Typ, der dümmer als der Dumme ist, nur dass er es selbst nicht merkt.“ Dass daraus die Konzeption für das wohl berühmteste Komiker-Duo der Filmgeschichte entstand, konnte damals natürlich noch niemand ahnen.
Denn die Mutter hatte für ihren Sohn anderes im Sinn gehabt. Der Besuch einer Militärschule sollte ihm den Schliff fürs Leben geben, doch die Autorität der strengen hierarchischen Strukturen verlor bei der Subversivität und Renitenz des Jungen ihre Wirkung. Der Hinauswurf war nur noch eine Frage der Zeit. Der Gesangsunterricht, den ihm die Mutter ab seinem achten Lebensjahr angedeihen ließ, sollte Teil einer bürgerlichen Ausbildung sein. Sie ahnte nicht, dass sie damit die Basis für seine späteren Auftritte als Straßen- und Zirkussänger legte. Völlig aus den Wolken musste sie gefallen sein, als ihr Jüngster für sein Herumtingeln das Jurastudium abgebrochen und seine Position als Geschäftsführer im Kino von Milledgeville aufgegeben hatte. 1912 zog er nach Jacksonville (Florida), der Hochburg der noch jungen Filmindustrie. Bereits ein Jahr später glückte ihm der Sprung ins Filmgeschäft, als ihn die Lubin Company für den Stummfilm „Outwitting Dad“ engagierte. Danach trat er mit seiner ersten Ehefrau, der Pianistin Madelyn Saloshin, in Bühnenshows auf und gab in unzähligen Kurzfilmen den „Heavy“, den schwergewichtigen Bösewicht. Seine Fettleibigkeit bot Anlass zu zahlreichen Spekulationen. Viele sahen in seinem maßlosen Essverhalten eine Kompensation für den Badeunfall seines Bruders Sam, der als 15-Jähriger vor Hardys Augen ertrank, sowie den frühen Tod seines Vaters (zu dessen Ehren er seinen ursprünglichen Vornamen Norvell gegen den seines Vaters, Oliver, getauscht hatte). 130 Kilogramm soll er gewogen haben, paradoxerweise erhielt er den Spitznamen „Babe“. Wurde er fremden Leuten vorgestellten, pflegte er zu sagen: „Bitte nennen Sie mich Babe.“
Mit dem um zwei Jahre älteren Stan Laurel stand er erstmals 1921 für den Film „A Lucky Dog“ vor der Kamera. Die gemeinsame Karriere startete jedoch erst fünf Jahre später, als man bei Hal Roach, einem auf Komödien spezialisierten und in diesem Genre bedeutenden Studio in Culver City nahe Hollywood, erkannte, welch großes Potenzial zum Kassenschlager in diesem ungleichen Paar schlummerte. Laurel hatte bis zu dieser Zeit – nach mäßigem Erfolg mit seiner eigenen Showtruppe „The Stan Jefferson Trio“, die er nach dem Abgang seines Partners Charlie Chaplin zum Film gegründet hatte, – sechzig Stummfilme gedreht. Als der vielleicht bedeutendste gilt „Mud and Sand“ (1922, „Schlamm und Sand“), in dem er als Rhubarb Vaselino den damaligen Frauenliebling Rudolph Valentino aus „Blood and Sand“ (1922, „Blutige Arena“) parodierte. Stan, der seinen Künstlernamen Laurel (engl., Lorbeer) seiner Freundin und Bühnenpartnerin Mae Charlotte Dahlberg, einer australischen Tänzerin, verdankte, glaubte aber nicht mehr, als Schauspieler den ersehnten Erfolg zu erlangen. Wiewohl er neben renommierten Kollegen wie James Finlayson, Charley Chase, Max Davidson und Edna Marion die größten Lacher auf seiner Seite hatte, widmete er sich bald der Tätigkeit hinter der Kamera als Regisseur, Cutter und Gag-Schreiber.
Erst als ihn Hal-Roach-Regisseur Leo McCarey 1926 mit Hardy zusammenspannte, kam Laurels Schauspielerkarriere richtig in Schwung. An der Seite seines beleibten Partners schrieb er Kinogeschichte. Das Duo „Dick und Doof“ begründete seinen Erfolg in der Stummfilmzeit und schaffte – im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen – souverän den Umstieg auf den Tonfilm. Über 100 Filme umfasst ihr Oeuvre, das neben den bekannten Slapstick-Kurzfilmen auch 27 Spielfilme aufweist wie etwa „Pack up Your Troubels“ (1932, „Die Teufelsbrüder“), „Wayout West“ (1937, „Zwei ritten nach Texas“) und „Sons of Desert“ (1933, „Die Wüstensöhne“), eine Persiflage auf die Freimaurer, denen Hardy als Mitglied der „Salomon Lodge No. 20“ in Jacksonville tatsächlich angehörte.
Der in vielen Produktionen maßgeblich für Regie und Text verantwortliche Laurel, genoss bei Hal Roach alle Freiheiten. Hardy hingegen – so sehr er, dem Pünktlichkeit und Textsicherheit über alles ging, eine überaus professionelle Einstellung zu seinem Beruf hatte, – war der Lebemann, dessen Leidenschaften das Kochen, die Pferderennen, Pokern und Golf waren. Auf der Leinwand verkörpert er den bornierten Spießbürger, der davon überzeugt ist, alles im Griff zu haben. Aber die Naivität und Tollpatschigkeit seines Partners Stan verhindern seinen Versuch, ein den gesellschaftlichen Konventionen opportunes Leben zu führen. Er fühlt sich seinem anscheinend kindlichen, ja geradewegs regredierten Freund weit überlegen. Doch das endogene Chaos, in dem beide fest verstrickt sind, gebiert keine konstruktiven Lösungen, sondern Tortenschlachten, Schlägereien und blaue Augen. Ebenso wirr, wie sie das Leben empfinden, sind ihre Reaktionen darauf. Sinn und Wertigkeit zivilisatorischer Errungenschaften verkehren sich oft ins Gegenteil, ersehnte Statussymbole werden aus Enttäuschung, Wut und persönlicher Schwäche zerstört. Demolierte Autos, devastierte Häuser, zerstörte Küchen und zerfetzte Anzüge jedoch sind kein Ergebnis der Böswilligkeit, sondern die unmittelbare Reaktion auf ein oft aufgrund seiner Wiederkehr frustrierendes Ereignis. Die Destruktion stellt in einem gewissen Sinn einen Akt der Befreiung dar. „Durch diese scheinbar vulgären, uhrwerkhaft ablaufenden Katastrophengeschichten bewegen sich zwei Männer voller Geheimnis; Charaktere shakespearehafter Kompliziertheit und Wucht. Und inmitten der Vernichtung triumphiert eine Freundschaft (oder müssen wir sagen: Liebe?), die wir, ohne mit der Wimper zu zucken, die Romanze des Jahrhunderts nennen wollen.“ (Benjamin Henrichs in „Die Zeit“)
Für den Zuschauer sind die beiden verlässlich konzeptioniert. Nur ein einziges Mal, in der Folge „Wissen ist Macht“, ist der Doofe nach einem Schlag auf seinen Hinterkopf dem Dicken überlegen. Ollie macht dem Elitestudenten, den sogar Albert Einstein für seine Relativitätstheorie um Rat bittet, den devoten Diener. Doch Stan darf sich seines ruhmreichen, ihn zum Snobismus verleitenden Daseins nicht lange erfreuen – nach einem weiteren Schlag ist alles wieder, wie es immer war.
So manchen Konsumenten, der seine Bekanntschaft mit Stan und Ollie erst durch die Fernsehausstrahlungen in den Siebzigerjahren gemacht hat, mag die Tatsache verwundern, dass „Dick und Doof“ bereits in der Zwischenkriegszeit sowohl in Deutschland als auch Österreich durch ihre Kinofilme bekannt und populär waren. Erst 1938 wurde durch die Nationalsozialisten der Import amerikanischer Filme verboten. Fast zur selben Zeit neigt sich auch die erfolgreichste Phase der beiden Schauspieler dem Ende zu. 1940 trennten sie sich von Hal Roach, die nachfolgenden Produktionen für 20th Century Fox und Metro-Goldwyn-Mayer konnten an die großen Erfolge nicht mehr anknüpfen. Nach dem Krieg trat Hardy einige wenige Male ohne seinen Langzeitpartner auf, spielte 1949 an der Seite von John Wayne in „The Fighting Kentuckian“ und drehte ein Jahr später mit Bing Crosby „Riding High“.
Wiewohl „The Music Box“ 1932 mit einem Oscar für die beste Kurzfilm-Komödie ausgezeichnet worden war, wurde ihr Werk lange als niveauloser Klamauk abgetan und erst spät gewürdigt. Die Verleihung des Ehren-Oscars an Stan Laurel für sein Gesamtwerk 1961 erlebte Hardy nicht mehr. Er hatte 1956 einen Schlaganfall erlitten, nach dem er gelähmt blieb und kaum mehr sprechen konnte. Am 7. August 1957 erlag Hardy einem Herzinfarkt, der möglicherweise von einer Radikal-Diät ausgelöst worden war, die ihm sein Hausarzt wegen Diabetes verordnet hatte. Laurel war vom Tod seines Partners derart erschüttert, dass eine vorübergehende Lähmung eintrat und ihm sein Arzt die Teilnahme am Begräbnis verbot. Er hatte „Babe“ um acht Jahre überlebt.
Erschienen in "Wiener Zeitung", 3.8.2007