Die Klarheit der Konstruktion

Architekt im Widerstand: der Modernist Herbert Eichholzer

Es gibt von Herbert Eichholzer nicht viele realisierte Projekte, und von den wenigen kaum eines, das unverändert erhalten ist. Trotzdem gilt der Grazer Architekt als einer von Österreichs konsequentesten Vertretern der Moderne. Dass er mit seinem „internationalen Stil“ im krassen Widerspruch zur herrschenden oder geforderten Auffassung zeitgenössischer Architektur stand, macht eine persönliche Notiz aus dem Jahre 1931 deutlich: „In den letzten 40 Jahren wurde von ‚außen nach innen‘ gebaut. Hinter einer protzigen Fassade verbargen sich lichtlose Gänge und schmutzige Winkel. Eine Bourgeoisie, der jegliche kulturelle Produktivität mangelte, griff zu Zierformen früherer Epochen und putzte sich äußerlich damit auf, wobei ihr das Verständnis für die entliehenen Formen fehlte. Das Produkt: ‚Villen‘ mit Raubrittercharakter, Einfamilienhäuser im Stil eines Palazzos.“
Zu diesem Zeitpunkt hatte Eichholzer, der am 31. Jänner 1903 als Sohn eines Grazer Handelsvertreters geboren wurde, die aller ersten Stationen seiner Architekten-Karriere bereits hinter sich. Für die Neugestaltung der Fassade am Grazer Wasserwerk bekam er noch als Student gemeinsam mit Eduard Bauer 1927 den 1. Preis des „Akademischen Architekturvereins an der Grazer technischen Hochschule“ zuerkannt. Nach dem Abschluss des Studiums ein Jahr später arbeitete er als technischer Leiter bei der Stahlhaus Ges.m.b.H. Duisburg, die in Bielefeld, der Türkei und Griechenland Fertigteilhäuser errichtete. Im Herbst 1929 absolvierte er ein dreimonatiges Volontariat im Atelier von Le Corbusier und Pierre Jeanneret in Paris und kehrte Anfang 1930, begeistert von der Architektursprache des Meisters, nach Graz zurück.
Auch hatte der in einer deutsch-national gesinnten Familie aufgewachsene Eichholzer bereits seine ersten politischen Prägungen erfahren. 1920 war er aus dem „Alldeutschen Verband“ ausgetreten, hatte sich den „Wandervögeln“ angeschlossen und wurde während des Studiums Mitglied der „Vereinigung sozialistischer Hochschüler“, einer Gruppierung des linken Flügels der sozialdemokratischen Partei. Seine politische Tätigkeit, die in den einigermaßen aufgeschlossenen Zwanzigerjahren keinerlei Aufsehen oder gar Gefährdung bedeutete, sollte ihm später zum Verhängnis werden. Schreibt man über Herbert Eichholzer, der erst durch Dietrich Eckers Dissertation zu Anfang der Achtzigerjahre und einer vom Grazer „Verein für Geschichts- und Bildungsarbeit CLIO“ 1999 gezeigten Ausstellung dem allgemeinen Vergessen entrissen worden war, dann erkennt man, dass hier die Kreativität des Geistes und die Lust am Widerborstigen eine letztendlich tödliche Symbiose eingegangen waren.

Nach seiner Rückkehr aus Frankreich begann Eichholzers Tätigkeit als Architekt wirtschaftlich viel versprechend. Die obersteirische Gemeinde Judenburg beauftragte ihn, eine dreigeschossige Wohnanlage mit 50 Wohneinheiten zu errichten. In realistischer Einschätzung des provinziellen Geschmacks gestaltete er das Objekt im bewährten Stil zeitgenössischer Volkswohnbauten.
Sein erster Auftrag blieb sein größter. In der Folge hielt er sich mit Möbelentwürfen und der Bauleitung bei der Errichtung des Grazer Arbeitsamtes 1931/32 über Wasser. Gemeinsam mit Rudolf Nowotny, mit dem er bis zu dessen frühem Diphterietod 1933 das Atelier teilte, entwarf er die Operntiefgarage sowie zwei kleine Häuser am Ulrichsweg. Diese beiden äußerst kompakten Bauten standen als weiße Kuben in der Landschaft, mit streng symmetrisch angeordneten Fenstern und einer außen verlaufenden Stiege, die das Erdgeschoß mit dem ersten Stock verband. Es war Eichholzers erste Arbeit, die seinen Richtlinien „des Aufbaus und der Gestaltung nach innerer Notwendigkeit sowie des Fortlassens jeglichen überflüssigen Schmuckes“ entsprach. Umgesetzt waren auch seine Forderungen nach „Ehrlichkeit im Material, Klarheit der Konstruktion und dem flachen Dach statt des schlecht ausgenützten Steildachs.“
Einige wenige Häuser in diesem Stil, der die innere Anforderung vor die äußere Erscheinung setzt, folgten nach. Das bekannteste ist wahrscheinlich das gemeinsam mit Viktor Badl entworfene und am Fuße des Rosenbergs errichtete Haus Lind, bei dem ein Teil des Hauptgeschoßes auf Stützen gesetzt ist, der Wohnraum durch ein mit Schiebeelementen versehenes Fensterband belichtet wird, den Abschluss nach oben eine Dachterrasse bildet, deren Stahlbetonrahmen die kubische Form des Hauses akzentuiert. Gemeinsam mit Badl erhielt Eichholzer 1935 den Staatspreis der Grazer Sezession für die Markthalle am Andreas-Hofer-Platz, die auf Grund der miserablen Wirtschaftslage ebenso wie zahlreiche andere Projekte nur ein Entwurf blieb.
Trotz der Anerkennung war es eine Zeit der Enttäuschungen. Auf beruflicher Ebene folgte nach einer desillusionierenden Mitarbeit am Moskauer Wohngroßbau „Standardgorprojekt“ die baldige Rückkehr nach Graz. Im Februar 1934 erlebte er auf Seiten des Schutzbundes, wie das Bundesheer gegen die aufständische Arbeiterschaft vorging und mit Artillerie auf Gemeindebauten schoss. Nach der Entlassung aus einer kurzen Haft schloss er sich den Kommunisten an.
In Zusammenarbeit mit Anna Lülja Simidoff, Friedrich Hodnik sowie seinem Lehrer Friedrich Zotter verwirklichte er noch einige Häuser, Umbauten und Inneneinrichtungen und brachte zahlreiche Wettbewerbsentwürfe zu Papier. Ein größerer Erfolg jedoch blieb ihm verwehrt. Das Atelier für die bekannte Grafikerin und Tiermalerin Norbertine Bresslern-Roth blieb im Stadium der Skizze stecken, ein Haus für den Geschäftsmann Kastner wurde auf Grund der Wirtschaftskrise nicht realisiert. Eichholzer engagierte sich zunehmend in der Grazer Sezession bei Debatten um Fragen der Kunst und wurde ab 1937 – gemäß der Vorgabe der verbotenen Arbeiterparteien, nicht mehr offensiv gegen die Institutionen des Ständestaates aufzutreten, sondern sie von innen her zu unterwandern - innerhalb der „Sozialen Arbeitsgemeinschaft der Vaterländischen Front“ aktiv.
Kurz vor Einmarsch der deutschen Truppen doch noch ein Glanzpunkt: Im Jänner 1938 erschien die erste Nummer der Kulturzeitschrift PLAN. Wiewohl nach dem ersten Heft die Herausgabe wegen der politischen Umwälzungen erst nach dem Krieg wieder aufgenommen werden konnte, gilt der PLAN als die wichtigste österreichische Publikation der linken Avantgarde. Prominente Persönlichkeiten gehörten dem Herausgeberkollektiv um den Publizisten Otto Basil an: der Dichter Theodor Kramer, der Maler Rudolf Pointner, der bildende Künstler und Kulturredakteur des sozialdemokratischen „Arbeiterwillen“ Axl Leskoschek, die Bildhauerin und Tochter Alma Mahlers, Anna Mahler, die Architekten Franz Schacherl und Herbert Eichholzer, der für den Architekturteil des Heftes verantwortlich zeichnete.
Um der Verhaftung durch die Nazis zu entgehen, emigrierte Eichholzer im März 1938 nach Paris, wo er einerseits im Atelier Albert Laprade Siedlungen plante, andererseits innerhalb der „Vereinigung österreichischer Emigranten“ tätig wurde. Im November desselben Jahres folgte er einem Ruf Clemens Holzmeisters nach Ankara, in dessen Atelier er an den Entwürfen und dem Bau des türkischen Regierungsviertels mitarbeitete. Darüber hinaus ergab sich hier auch beruflicher und politischer Kontakt zur Architektin Margarete Schütte-Lihotzky. Ankara wurde nach Kriegsausbruch zur Anlaufstelle für Geheimdienste aller Seiten im Allgemeinen und Operationszentrum für den Auslandsapparat der KPÖ im Speziellen.
Um die zerstörten Strukturen des kommunistischen Widerstands wieder zu errichten, sollten Eichholzer und Schütte-Lihotzky gemeinsam mit der chilenischen Architektin Ines Viktoria Maier, die sich in Ankara der KPÖ angeschlossen hatte, nach Österreich zurückkehren. Eichholzer betrieb seine Rückkehr nach Graz offiziell, sein der NSDAP angehörender Bruder hatte mit dem steirischen Gauleiter Siegfried Uiberreither die dafür notwendigen Verhandlungen geführt, die Gestapo schließlich gab die Zusage, von einer Verfolgung abzusehen, wenn sich Eichholzer dem Staat gegenüber loyal verhalte. Im März 1940 reiste Eichholzer aus Ankara ab.
Nach Zwischenstationen in Sofia, wo er seine ehemalige Lebensgefährtin Anna Lülja Simidoff zum letzten Mal sah, in Bukarest und Belgrad, wo er sich mit kommunistischen Kontaktleuten traf, kam Eichholzer in Zagreb an. Hier besprach er sich in der Wohnung von Franz Öhler, dem aus Graz emigrierten Besitzer des Kaufhauses Kastner & Öhler, mit wichtigen KP-Auslandsfunktionären. Hier wurden die letzten Direktiven ausgegeben, die konkreten Arbeitsaufgaben besprochen: Zusammenführung und Koordinierung der derzeit von einander losgelöst operierenden Gruppen.
Nach seiner Ankunft in Graz Ende April 1940 bekam Eichholzer rasch Kontakt zur lokalen Widerstandsgruppe um den Regisseur Karl Drews, dem Archivar im Steiermärkischen Landesarchiv Franz Weiß, sowie dem Krankenkassenbeamten Josef Neuhold. Widerstand durch Gewalt, wie ihn etwa die Judenburger Gruppe mit Sprengstoffanschlägen auf Eisenbahnverbindungen demonstrierte, war die Sache der Grazer Intellektuellen nicht. Als herausragendste Aktion gilt das Flugblatt mit dem Titel „Nazikultur“, auf dem im Detail auf die Vorgänge in den Anstalten Wien-Steinhof und dem Grazer Feldhof eingegangen wird. Laut Wolfgang Neugebauer vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands ist dies das einzige Flugblatt, in dem gegen die Euthanasie während des Dritten Reichs Stellung bezogen wird.
Eichholzers Umgang mit dem Regime war ein durchaus ambivalentes. Er nützte Kontakte dort, wo sie ihm vorteilhaft erschienen, kam aber auf Grund seiner unangepassten und draufgängerischen Persönlichkeit unweigerlich mit den starren und rigiden Bedingungen einer Unrechtsdiktatur in Konflikt. Letztlich mag der „Edelkommunist“, der den Widerstand als ein intellektuelles Spiel betrieb, den barbarischen Charakter des nationalsozialistischen Regimes unterschätzt haben.
Er meldete sich freiwillig zum Heer, wurde als Dolmetsch eingezogen, pflegte aber während der Fronturlaube weiterhin Kontakt zur Gruppe um Karl Drews. Er gab auf einer Feldpostkarte an eine Grazer Bekannte seinem Wunsch Ausdruck, „in drei Jahren Offizier“ zu sein, traf sich im September 1940 mit Gauleiter Uiberreither, um über seine berufliche Zukunft zu sprechen, wurde schließlich „wegen kommunistischer Umtriebe“ am 7. Februar 1941 bei seiner Einheit in Verdun verhaftet. Oberst Milentz, Kommandant der Einheit, schrieb in sein Tagebuch: „Er ist einer unserer allerbesten Soldaten gewesen, ohne jeden Tadel. Zu meiner Geburtstagsfeier am 7.2. in der Kantine hatte er die Ausschmückung mit Tannengrün und bunten Girlanden gemacht. Am gleichen Tag musste ich ihn verhaften. Es war eine hässliche Aufgabe.“
Ein Gestapo-Spitzel, der sich mit blendender Rhetorik in die oberste Führungsebene der KPÖ eingeschleust hatte, ließ 1941 fast das gesamte kommunistische Widerstandsnetz hochgehen. Eichholzer war eines seiner Opfer. Bemühungen vor allem seines Bruder, ihn vor dem Volksgerichtshof zu bewahren, scheiterten. Im Prozess am 9. September 1942 wurde er wie kurz zuvor schon zwanzig weitere Angehörige des steirischen Widerstands vom Volksgerichtshof in Wien „wegen fortgesetzten Verbrechens der Vorbereitung zum Hochverrat“ zum Tode verurteilt. Am 7. Jänner 1943 starb Herbert Eichholzer, drei Wochen vor seinem 40. Geburtstag, unter dem Fallbeil.

Erschienen in "Wiener Zeitung", 6./7.12.2002